«Nur zu wissen, welches Knie operiert wurde, reicht nicht.»
Physiotherapeutin Pia Fankhauser* engagiert sich seit Jahren für die Digitalisierung des Gesundheitswesens. In das elektronische Patientendossier setzt sie grosse Hoffnungen – und erwartet gleichzeitig technisch einfache Lösungen, die im Alltag funktionieren.
Frau Fankhauser, das elektronische Patientendossier nimmt gesamtschweizerisch Gestalt an. Wie beurteilen Sie das Dossier als langjährige Physiotherapeutin?
Ich setzte mich seit Jahren für digitale Lösungen im Gesundheitswesen ein. Unter anderem habe ich einen Verein zur Förderung des elektronischen Patientendossiers im Kanton Baselland gegründet. Für mich kann die Einführung des elektronischen Patientendossiers nicht schnell genug gehen. Dieser Schritt in Richtung Digitalisierung ist für uns Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten ganz wichtig. Er bringt uns grosse Vorteile.
Nennen Sie mir ein Beispiel.
Ich denke spontan an die Begegnung mit einem älteren Herzpatienten. Er litt unter einer leichten Demenz. Es fiel ihm schwer, meine Fragen zu Spitalaufenthalt, Diagnose und Medikamenten zu beantworten. Und die Papierdokumente der zuweisenden Ärzte waren inhaltlich sehr dünn. Mit einem elektronischen Patientendossier hätte ich mich sehr viel schneller und zuverlässiger informieren können.
Weshalb sind Sie als Physiotherapeutin denn überhaupt auf Angaben über Medikamente angewiesen?
Nur zu wissen, welches Knie operiert wurde, reicht mir als Physiotherapeutin nicht. Vielleicht nimmt ein Patient ein Medikament ein, das seine Kondition beeinträchtigt oder das zu Schwindel führen könnte. Zudem leiden insbesondere ältere Patientinnen und Patienten oft unter mehreren Beschwerden gleichzeitig oder sie haben mehrere Operationen hinter sich – all diese Hintergründe muss ich kennen, um meine Behandlung optimal auf eine Person abstimmen zu können.
«All diese Hintergründe muss ich kennen, um meine Behandlung optimal auf eine Person abstimmen zu können.»
Inwiefern nützen Ihre Informationen aus der Physiotherapie wiederum einer behandelnden Ärztin?
Auch dazu kann ich Ihnen eine Geschichte erzählen: Ich erinnere mich an eine Patientin, die gegenüber ihrer Spitex-Mitarbeitenden über Schmerzen im Brustbereich klagte. Sie wurde daraufhin mit Verdacht auf einen Herzinfarkt ins Spital geliefert. In Tat und Wahrheit hatte die Dame lediglich Muskelkater nach der Physiostunde. Dieses Beispiel zeigt, dass wir Gesundheitsfachkräfte stärker Hand in Hand arbeiten müssen, um die Qualität der Behandlung zu steigern.
Es geht Ihnen also nicht in erster Linie um eine Senkung der Kosten?
Nein. Mit dem Patientendossier tun wir etwas für unsere Kundinnen und Kunden. Vielleicht erreichen wir damit auf lange Sicht eine Effizienzsteigerung – aber das ist nicht mein Hautpanliegen. Zudem: Die Einführungsphase ist für Hausärzte und Therapeuten mit Investitionen verbunden.
«Vielleicht erreichen wir damit auf lange Sicht eine Effizienzsteigerung – aber das ist nicht mein Hautpanliegen.»
Insbesondere kleinere Praxen fürchten sich davor.
Ja, das will ich nicht schönreden. Am Anfang jeder Digitalisierung stehen technische Fragen: Welches System passt zu meiner Praxis? Wie funktioniert es? Wie bilde ich mein Team aus? Noch viel entscheidender ist dann die Anpassung der Prozesse: Wer kriegt alles einen Laptop? Wo haben die Laptops Platz? Wann haben wir saubere Hände, um sie zu bedienen? Tippen wir unsere Berichte vor den Augen der wartenden Patientinnen? Oder doch erst am Abend, wenn alle weg sind? Wir brauchen Systeme, die auf unsere Bedürfnisse abgestimmt sind.
Wie handhaben Sie diese Herausforderung persönlich?
Ich bin tagsüber bei meinen Patientinnen und Patienten zu Hause. Da arbeite ich mit dem Smartphone und setze mich erst abends vor den Computer. Ich empfehle jeder Medizininformatikerin und jedem Medizininformatiker den Besuch möglichst vieler Praxen – damit wir im digitalisierten Gesundheitswesen der Zukunft Lösungen haben, die auch im Alltag funktionieren. Das elektronische Patientendossier ist hier eine zentrale Etappe: Wir werden das System technisch weiterentwickeln und gemeinsam die besten Lösungen finden.
«Der Initialaufwand lohnt sich auf alle Fälle.»
Was raten Sie Physiotherapeuten und Gesundheitsfachpersonen für die Arbeit mit dem elektronischen Patientendossier?
Das elektronische Patientendossier kommt sowieso. Irgendwann werden die Patientinnen und Patienten von sich aus danach fragen – und dann sollten wir ihnen diesen Service auch bieten können. Wer sich rechtzeitig mit der Sache beschäftigt, wird auch früh von den grossen Vorteilen dieses Dossiers profitieren können. Der Initialaufwand lohnt sich auf alle Fälle.
Pia Fankhauser*, Oberwil, ist langjährige Physiotherapeutin. Heute betreut die Domizil-Therapeutin Patientinnen in Pflegeheimen und -wohnungen sowie in Privatwohnungen.