«Ein EPD zu haben, soll zur Selbstverständlichkeit werden.»
Martine Bourqui-Pittet ist seit November 2022 die Leiterin der Geschäftsstelle von eHealth Suisse. Nach einem halben Jahr im Amt blickt sie zurück auf ihre ersten Eindrücke und Erfahrungen. Sie schaut auch in die Zukunft, indem sie ihre Visionen und Gedanken zu den Handlungsfeldern und dem Potential des elektronischen Patientendossiers (EPD) umreisst.
Frau Bourqui-Pittet, Sie sind seit November die Geschäftsführerin von eHealth Suisse. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus Ihren Erlebnissen und Erfahrungen in diesen ersten sechs Monaten?
Ich bin sehr beeindruckt von der Anzahl Akteure, die in der Schweiz im Bereich eHealth tätig sind. Ich konnte bereits zahlreiche Personen aus diesem Umfeld treffen und sehen, dass bereits enorm viel Arbeit geleistet wurde. Und dies mit einem sehr grossen Engagement! Ich habe auch realisiert, dass der Weg des elektronischen Patientendossiers nicht geradlinig verläuft und noch ein gutes Stück des Weges vor uns liegt. Aber ich freue mich auf die Reise!
Wo sehen Sie besonderen Handlungsbedarf, was möchten Sie vorantreiben?
Beim EPD braucht es noch einige Bemühungen von allen involvierten Akteuren, damit die bereits vorhandenen Zahnräder ineinandergreifen und in die gleiche Richtung laufen, zum Beispiel bei der Implementierung von neuen Austauschformaten oder weiteren neuen Funktionalitäten. Wir werden auch in die Aufklärung der Nutzerinnen und Nutzer und insbesondere der Patientinnen und Patienten investieren müssen, da diese nun die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten haben.
Was sind Ihre Visionen in Bezug auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens?
Ich hoffe sehr, dass die Digitalisierung dem Gesundheitspersonal mehr Zeit verschafft, damit sie ihre Kernkompetenzen wieder mehr dort einsetzen können, , wo sie am wertvollsten sind: bei den Patientinnen und Patienten. Das heisst, weniger administrativer Aufwand, einfacherer Informationsaustausch und weniger Doppelspurigkeit. Dies sind alles auch Vorteile, die wir uns vom EPD erhoffen!
Was nehmen Sie aus Ihren bisherigen Berufserfahrungen mit für Ihre Tätigkeiten bei eHealth Suisse?
Ich hatte die Gelegenheit, ein Pilotprojekt für eine Gesundheitsstudie zu leiten, eine landesweite Kohortenstudie. Dabei sammelten wir Gesundheitsdaten und Stichproben in der Bevölkerung, um unter anderem zu sehen, wie die Exposition gegenüber bestimmten Chemikalien die Gesundheit beeinflussen kann. Die Partner mussten sich darauf einigen, welche Informationen gesammelt werden sollten, wie sie gesammelt werden sollten und wie sie verwaltet werden. Das war ein spannender erster Kontakt mit Gesundheitsdaten. Dabei habe ich auch eine gewisse Ausdauer für langfristige Projekte in meinem Erfahrungsrucksack mitgenommen.
Während der Covid-19-Pandemie leisteten Sie in Ihrer Funktion bei der Arbeitsgruppe «Lage» des BAG einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Krise. Welche Rolle könnte das EPD aufgrund Ihrer Erfahrungen bei der Bekämpfung einer zukünftigen Pandemie einnehmen?
Das war in der Tat eine lehrreiche Erfahrung, sowohl persönlich als auch beruflich. Wir hatten es mit sehr heterogenen Daten zu tun, die wir aus verschiedenen Systemen abrufen mussten. Es ging also darum, sich auf Daten, Standards und eine gemeinsame Infrastruktur zu einigen, auch wenn die Ziele nicht die gleichen sind. Ich denke, dass hier die im letzten Herbst aufgenommene Arbeit der Fachgruppe Datenmanagement viel zur Verbesserung des Datenmanagements im Gesundheitswesen beitragen wird. Jedenfalls kann das EPD den Gesundheitsfachpersonen, vor allem in Form von strukturierten Daten, rasch zu wichtigen Informationen einer Patientin, eines Patienten verhelfen, wie zum Beispiel einen Überblick der Impfungen und möglichen Allergien. Das EPD soll das Gesundheitspersonal auch von einem Teil der administrativen Aufwände entlasten und Doppelspurigkeit oder Kommunikationsfehler verhindern. Es könnte daher eine wertvolle Hilfe bei der Bewältigung einer Pandemie sein.
Wie schätzen Sie die Bedeutung des elektronischen Patientendossiers für die Zukunft des Schweizer Gesundheitssystems ein? Was muss geschehen, damit das EPD sein volles Potential entfalten kann?
Ich würde es wirklich begrüssen, wenn eines Tages die einzige Frage wäre, ob ich eine blaue oder rote Oberfläche auf meiner EPD-App haben möchte. Und nicht, ob ich ein EPD haben möchte oder nicht. Es muss populär werden! Es muss zu einer Selbstverständlichkeit werden. Um dies zu erreichen, müssen wir der breiten Bevölkerung den Nutzen eines EPD erklären. Zudem ist klar, dass der Zugang so einfach wie möglich sein muss. Derzeit ist der Eröffnungsprozess noch etwas umständlich und das Tool ist noch nicht sehr attraktiv. Jetzt geht es darum, die Qualität des Fundaments und des Aufbaus zu sichern. Dann werden wir mit der «Inneneinrichtung» beginnen.