Das EPD in Pflegeheimen: Erfahrungen und Erwartungen aus der Praxis
Pflegeheime in der Schweiz sind gesetzlich verpflichtet, sich dem elektronischen Patientendossier (EPD) anzuschliessen. Die nachfolgenden Beispiele aus den Kantonen Aargau und Genf zeigen, wie das EPD am besten in den Pflegealltag integriert werden kann. Sie verdeutlichen das Potenzial des EPD für Pflegeheime und zeigen auf, welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind, um das EPD flächendeckend voranzubringen.
Das elektronische Patientendossier in Pflegeheimen
Noch ist es eine Minderheit der Pflegeinstitutionen, die mit dem EPD erste Erfahrungen sammeln konnten. Die beiden Heime «Les Mouilles» in Petit-Lancy GE und der «Lindenhof» in Oftringen AG sind mit gutem Beispiel vorangegangen, haben sich dem EPD angeschlossen und setzen sich aktiv dafür ein, die Nutzung und Verbreitung des elektronischen Patientendossiers zu fördern.
«Für unser Gesundheitssystem ist es ein grosser Gewinn, wenn wir Zugriff auf ein System haben, wo alle behandlungsrelevanten Patienteninformationen erfasst und einsehbar sind.»
In beiden Heimen werden Neueintretende jeweils direkt gefragt, ob sie ein EPD eröffnen möchten. So verfügen in Les Mouilles alle von den 78 und im Lindenhof 26 von 78 Bewohnenden über ein elektronisches Patientendossier. Bei der Eröffnung und Betreuung der Dossiers erhalten die Bewohnenden Unterstützung von der Pflegedienstleitung. Der Lindenhof bietet sogar externen Kunden gegen eine geringe Gebühr die Verwaltung des EPD an und hat gemeinsam mit der Stammgemeinschaft eHealth Aargau an verschiedenen öffentlichen Anlässen dafür geworben.
Das EPD ermöglicht es den Pflegeheimen, die Krankengeschichte ihrer Bewohnerinnen und Bewohner schnell und unkompliziert achzuvollziehen.
Nach der Rückkehr einer Klientin oder eines Klienten aus dem Spital kann beispielsweise der gesamte Behandlungsverlauf ohne aktive Nachfrage eingesehen werden. Dadurch kann die Pflege umgehend an die neuen Gegebenheiten angepasst werden.
Die IT-Lösung beeinflusst die Nutzung des EPD im Pflegealltag
Wenn Pflegeheime eigene Dokumente ins EPD ihrer Klientinnen
und Klienten einpflegen möchten, bringt das einen gewissen Zusatzaufwand mit sich, bis die entsprechenden Prozesse eingespielt sind. Ideal wäre, wenn die Dokumente automatisch ins EPD fliessen würden. Dafür braucht es eine sogenannte «tiefe Integration» des EPD in die eigenen Informationssysteme. Alternativ kann die Anbindung ans EPD auch über eine Webportal-Lösung erfolgen. Dies ist zwar sehr einfach und kostengünstig, aber aufwändiger in der Handhabung. So muss bei dieser Lösung jedes einzelne Dokument vom internen System heruntergeladen werden, um dann wieder ins EPD der Bewohnenden hochgeladen zu werden.
Beide porträtierten Pflegeheime arbeiten aktuell mit der Webportal-Lösung, jedoch mit unterschiedlichen Herangehensweisen. Das Pflegeheim Les Mouilles ist zurückhaltend mit dem Hochladen eigener Dokumente, denn es hofft auf eine baldige, kostengünstige Software-Lösung für eine tiefe Integration. Mit dieser würden sich die relevanten Dokumente automatisch und ohne grösseren Aufwand mit den EPD synchronisieren lassen. Der Lindenhof nimmt zusätzliche Arbeitsschritte auf sich, um heiminterne Dokumente in das EPD der Bewohnenden zu laden. Es werden sogar Dokumente von ambulanten Leistungserbringern, die vielfach noch nicht ans EPD angeschlossen sind, eingefordert und hochgeladen. Dieser Aufwand sei durch den erreichten Nutzen gerechtfertigt, unterstreicht Isabelle Kuhn, Stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung Lindenhof. Für das Heim präsentiert sich der grosse Vorteil, dass es dank dem EPD ihrer Kundinnen und Kunden bei deren Rückkehr aus dem Spital ohne Rückfrage lückenlos über den Behandlungsverlauf informiert ist. Und die Bewohnerinnen und Bewohner können auf alle relevanten Informationen jederzeit zugreifen und Behandelnden den Zugriff auf ihre Dokumente gewähren. So verweisen einige von ihnen beim Austausch mit dem Spital, ihrer Ärztin oder ihrem Arzt denn auch bereits aktiv auf ihr EPD.
«Wir stellen immer wieder fest, wie Bewohnende gegenüber den Leistungserbringern eigentliche Aufklärungsarbeit fürs EPD leisten.»
Regionale Unterschiede bei der Anbindung der Leistungserbringer
Generell gibt es grosse regionale Unterschiede hinsichtlich der Anbindung der Leistungserbringer ans EPD. In den Westschweizer Kantonen beispielsweise ist das EPD Teil des Service Public. Die Kantone übernehmen deshalb praktisch alle Kosten, die für die Leistungserbringer entstehen.
Auch im Kanton Aargau gibt es einen schnellen und unkomplizierten Anbindungsprozess. Die Leistungserbringer bezahlen hier zwar einen Beitrag an die Stammgemeinschaft Health Aargau, erhalten dafür aber umfangreiche Dienstleistungen rund um das Online-Portal. Dies führt dazu, dass in den beiden genannten Regionen praktisch alle Spitäler, Kliniken und Pflegeheime an das EPD angeschlossen sind.
Die Zukunft des elektronischen Patientendossiers
Heute gibt es schweizweit rund 21'000 elektronische Patientendossiers [1], Tendenz steigend. André Rotzetter, Präsident der Stammgemeinschaft eHealth Aargau, geht zudem davon aus, dass in den nächsten Jahren das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen für die Leistungserbringer attraktiver wird. Zum einen verweist er auf die Bestrebungen, kostengünstige Integrationslösungen zu entwickeln. Damit werden die Primärsysteme der verschiedenen Institutionen direkt mit dem EPD kommunizieren können, was die Anwendung im Alltag deutlich vereinfachen wird. Zum anderen wird die zunehmende Integration und Verwaltung sogenannter «strukturierter Daten», also Datensätze, die laufend aktualisiert werden und PDF-Dateien ersetzen (z.B. beim Impfen oder der Medikation), den Nutzen des EPD erhöhen.
«Mit der Integrationslösung wird sich die Nutzung aufseiten der Leistungserbringer stark vereinfachen.»
So wird noch im Verlaufe des Jahres 2023 der Impfausweis in strukturierter Form zur Verfügung stehen. Im nächsten Jahr folgt der Medikationsplan, und die gesetzlichen Grundlagen für das Austauschformat eRezept treten in Kraft. Darüber hinaus wird an der Einführung weiterer strukturierter Daten wie eAllergie und eNotfallpass gearbeitet.
Das EPD ist ein Jahrzehnteprojekt – und wird sich dementsprechend in den kommenden Jahren weiterentwickeln. Neue Integrationslösungen und die Einführung strukturierter Daten können dazu beitragen, dass das EPD für die Leistungserbringer aber auch für die Patientinnen und Patienten immer wie einfacher und attraktiver wird Und wie die beiden Beispiele von Les Mouilles und dem Lindenhof zeigen: Das EPD bietet schon heute trotz eines gewissen Aufwands einen Nutzen für alle Beteiligten.
Der vorliegende Blogeintrag basiert auf dem Artikel «Das EPD: Ein Jahrzehnteprojekt» aus dem Magazin Artiset vom 04. Mai 2023.
Externer Link: Der Artikel kann auf der Webseite von Artiset in voller Länge eingesehen werden.
[1] Stand August: 23'200 eröffnete Dossiers