«Auch Fachpersonen profitieren vom EPD»
Im Kanton Genf ist das Patientendossier «MonDossierMedical» bereits seit mehr als zehn Jahren im Einsatz. Anfang Oktober 2021 hat der Kanton das Dossier ersetzt: Neu arbeitet er mit dem gesamtschweizerisch gültigen Patientendossier der Stammgemeinschaft CARA. Nicolas Müller* hat den Transfer hautnah miterlebt.
* Herr Müller ist Leiter e-Health und Gesundheitsökonomie in der Gesundheitsdirektion des Kanton Genfs.
Herr Müller, Sie haben die Etablierung des «MonDossierMedical» im Kanton Genf über Jahre hinweg begleitet. Nun ersetzt der Kanton das kantonale Dossier durch das nach Bundesgesetz zertifizierte Patientendossier CARA. Ist das nicht ein wenig schmerzhaft?
Nein, so sehe ich das nicht. Die Arbeit mit «MonDossierMedical» war spannend und intensiv. Nun wird die Idee der digitalen Verwaltung von Gesundheitsdaten gesamtschweizerisch umgesetzt. Das ist ein Erfolg. Und dazu gehört auch unser Wechsel zu CARA.
Worin unterscheidet sich denn das elektronische Patientendossier der Stammgemeinschaft CARA vom «MonDossierMedical»?
Das nationale Patientendossier basiert auf gesamtschweizerischen vom Bund vorgegebenen Standards. Dabei ist es in Bezug auf die Datensicherheit viel strenger als das «MonDossierMedical».
«Das elektronische Patientendossier ist ein Gewinn für das gesamte Gesundheitswesen.»
In der digitalen Verwaltung von Gesundheitsdaten haben Sie viel Erfahrung gesammelt. Welche Botschaften würden Sie anderen Kantonen weitergeben, die in diesem Prozess noch nicht so weit sind?
Das elektronische Patientendossier ist ein Gewinn für das gesamte Gesundheitswesen: In einem ersten Schritt profitieren natürlich die Patientinnen und Patienten. Im Kanton Genf hatten über 50’000 Personen ein «MonDossierMedical» eröffnet. Dazu kamen 2’500 Fachpersonen. Die Herausforderung liegt nun darin, den Fachpersonen die grossen Vorteile des elektronischen Patientendossiers aufzuzeigen.
Wie meinen Sie das?
Für die Berufseinsteiger im Gesundheitswesen ist die Arbeit mit digitalen Tools schon fast selbstverständlich. Bei ihnen erlebten wir schon immer eine grosse Offenheit. Auf mehr Widerstand sind wir bei Fachpersonen gestossen, die bereits länger im Berufsleben stehen.
Woran könnte das liegen?
Die Arbeit mit einem elektronischen Patientendossier verlangt Anpassungen in der beruflichen Praxis sowie einen Mentalitätswandel: Ärztinnen und Ärzte sind plötzlich gefordert, Diagnosen und Informationen zu Behandlungen mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen und Patientinnen und Patienten bereitzustellen Das ist neu und für viele ungewohnt. Das elektronische Patientendossier stellt den Patienten als Kunden ins Zentrum des Gesundheitswesens. Der Kunde ist bekanntlich König – das ist im Bereich Medizin noch nicht überall selbstverständlich.
Viele Fachpersonen fürchten einen Mehraufwand.
Ja. Dabei profitieren auch Fachleute vom elektronischen Patientendossier. Sie arbeiten schneller und effizienter. Wir sind zudem bestrebt, die technischen Lösungen weiter zu verbessern – abgestimmt auf die Bedürfnisse der Fachpersonen.
In welche Richtung könnte das gehen?
Möglich wären zum Beispiel Einrichtungen, mit denen Spezialisten chronisch erkrankte Personen gemeinsam und tagesaktuell medizinisch überwachen. So könnten wir die Behandlung besser koordinieren.
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Patientinnen und Patienten?
Sehr gute. Die Patientinnen und Patienten im Kanton Genf haben die Vorteile des elektronischen Patientendossiers mehrheitlich erkannt. Für ältere Menschen ist die Eröffnung nicht immer einfach. Deshalb haben wir im Universitätsspital Genf Anlaufstellen eingerichtet.
«Personen, die technisch nicht so bewandert sind, können bei uns wiederum Hilfe in Anspruch nehmen.»
Wie haben die Patientinnen und Patienten darauf reagiert, dass Sie ihre Daten nun von «MonDossierMedical» auf CARA migrieren sollen?
Die Bevölkerung macht gut mit. Wir haben früh mit der Kommunikation gestartet und alle Patientinnen und Patienten von «MonDossierMedical» direkt angeschrieben. Personen, die technisch nicht so bewandert sind, können bei uns wie bisher Hilfe in Anspruch nehmen: Also beispielsweise bei den entsprechenden Anlaufstellen im Universitätsspital Genf. In naher Zukunft wird es zudem möglich sein, sich vollständig online mit einer Identifikation per Video anzumelden – so wie dies heute bereits bei der Eröffnung von Bankkonten möglich ist.
Die Arbeit geht Ihnen also nicht aus.
Nein, der Schritt zu CARA ist nur eine weitere Etappe auf unserem Weg hin zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. Wir werden das Patientendossier gemeinsam mit den Betroffenen kontinuierlich weiter entwickeln und den Einsatz laufend vereinfachen.